Wednesday, October 27, 2010

Der Grindchor Live

Anlässlich des 15-jährigen Bestehens von Haus Schwarzenberg
30.11. 22 Uhr
Eschloraque
Rosenthaler Str 39, 10178 Berlin - Mitte
http://www.eschschloraque.de/
 
Das Nasenflöten Orchester
Das original Oberkreuzberger Nasenflötenorchester- der Grindchor
Kürzlich trauerflöteten die Nasen auf der Beerdigung von Fritz Teufel.Sonst heizen sie den Gröhlbändern der Fans ein.(jeder Zuschauer mutiert unweigerlich zum Fan)
Hits, bekannt-aus-Funk-und-Fernsehn, Dramarock und feine (bier)seelige Stilblüten fürs Gemüt, inbrünstig und völlig schräg.
Die 12 gestandenen Flötenmänner haben drei CD's veröffentlicht, die nach 19 Jahren Bandgeschichte sy(m)phonisch erklingen,
auch Dank cleverer Backups, Beatboxings und schnittiger Begleitgitarre.
 
http://www.myspace.com/nasenfloetenorchester
http://www.nasenfloeten.de/

+ DJ Mark Boombastik

http://www.myspace.com/markboombastik

Tuesday, July 27, 2010

Goodbye, Ruby Tuesday

Man geht nicht zu Trauerfeiern für Menschen, die man nicht persönlich kannte, Punkt. Eine Ausnahme von dieser Benimmregel ist jedoch gestattet: Wenn das befreundete Oberkreuzberger Nasenflötenorchester eingeladen wird, bei einem solchen Anlass »Goodbye, Ruby Tuesday« zu pfeifen, da darf man sich anschließen. Weil ja doch immer was passiert. Und in diesem speziellen Fall: weil Fritz Teufel eigentlich vermutlich ziemlich okay war.

Das Stück habe er sich gewünscht, wird Ulrich Enzensberger später beim Umtrunk im Brecht-Haus erzählen, denn für die K1 hatte es eine ganz spezielle Bedeutung: Am Anfang hatte die Kommune noch im Steglitzer Domizil des Schriftstellers Uwe Johnson gewohnt, wo auch das sogenannte Pudding-Attentat geplant und vorbereitet worden war. Als der in den USA weilende Hauptmieter dann jedoch in der New York Times las, dass in seiner Wohnung schrecklich gefährliche Terroristen hausen, kündigte er der K1 auf der Stelle. Übergangsweise zog die Kommune nach Kreuzberg. Besonders gut ging es ihnen dort nicht, alles sei so ungewiss gewesen, sagt Enzensberger rückblickend. Ob die Staatsanwaltschaft, animiert durch die aufgeregten Schlagzeilen der Springer-Presse über das geplante Attentat, tätig werden würde, war unklar – und so taten die Kommunarden das, was in der Situation am vernünftigsten schien, nämlich erst einmal nichts. Untermalt von dazu passender Musik, unter anderem dem Rolling-Stones-Hit »Ruby Tuesday«. Rauf- und runtergespielt habe man ihn, erinnert sich Enzensberger. Und so singen denn auch einige der Trauergäste beim Verlassen der Kapelle Zeilen wie »Lose your dreams and you will lose your mind« ganz automatisch mit.
Die B.Z., die einen Tag später auf ihrer Titelseite mit der üblichen scheinheiligen Empörung berichtete, die Nasenflöten und Dieter Kunzelmann hätten auf dem Friedhof gekifft, war übrigens zur anschließenden Feier nicht zugelassen. Und weiß daher nicht, wer wem dort Schläge angedroht hat. Haha.

Der Text erschien zuerst in der Rubrik "Raucherecke" der Wochenzeitung Jungle World

Thursday, July 15, 2010

Mit bitte was, Trompeten?

Wir wissen nicht, was der Reporter des Berliner Kuriers geraucht hat, bevor er sich entschlossen an seinen Computer setzte und seinen Artikel über die Trauerfeier für Fritz Teufel mit diesen Worten begann:
Bob Dylan vom Band, eine Gruppe, die mit Pfeife und Trompete "Ruby Tuesday" von den Stones spielt

Und wir wissen auch nicht, warum der Reporter der Berliner B.Z. als vordringlichsten Eindruck von der Trauerfeier diesen hier zu einem Skandal!-Artikel verarbeitet:
Vor der Kapelle ließen Musiker des Nasenflöten-Orchesters einen Joint kreisen. Weiter weg stand Provokateur Dieter Kunzelmann (71), umgeben von einer Gruppe Alt-68er. Dann wurde ihm die Marihuana-Zigarette gebracht.

Was wir allerdings wissen: Es war keine einzige Trompete anwesend, definitiv. Und schon gar nicht hat das Oberkreuzberger Nasenflöten-Orchester auf einer gespielt. Wie man hier sehr schön sieht, btw:


Und hier (Videos von den beiden gespielten Songs, Ruby Tuesday und Je ne regrette rien folgen)
Ansonsten entzieht sich, wie oben bereits festgestellt, vollkommen unserer Kenntnis, wer was geraucht hat oder nicht geraucht haben könnte.


FOTOS: Ron Gerlach

Thursday, March 11, 2010

Schmiert die Guillotine!

Bisher endeten Auftritte der Nasenflöten zumeist mit Hausverboten. Auf ihrer Norddeutschland-Tournee ist aber fast alles gut gegangen. Ein Live-Bericht vom ersten Großausflug des Kreuzberger Orchesters.

If you can't stand the heat, stay out of the Noseflutes" - Bandmitglied Naseweiß fehlt bei der ersten Tour des Original Oberkreuzberger Nasenflöten-Orchesters / Der Grindchor, er tourt lieber mit einer schwer abgehalfterten Rock'n'Roll-Truppe durch die USA, der Feigling.
Immerhin, er ist einer der Überlebenden der letzten Konzertreise des Berliner Plattenlabels Human Wrechords, die für die Teilnehmer in einem Polizeibus und für den Van auf dem Autofriedhof endete.
Touren ist im Gegensatz zum Reisen extrem ungesund. Man schläft entweder nie oder befindet sich in einem ständigen Halbdös, muss stundenlang warten, und das meistens an Orten, die kilometerweit von irgendetwas Sehenswertem entfernt liegen. Deswegen hängt man ständig miteinander herum und geht sich auf die Nerven - der berüchtigte Tour-Koller kann bereits nach 18 Stunden alle Beteiligten erfassen.
Der Nasenflöten-Mini-Tour gab kaum jemand eine Chance. Weniger, weil die Kunst des Nasenflötens in Restdeutschland unbekannt ist, sondern eher, weil bisher jeder Auftritt außerhalb West-Berlins mit Hausverbot endete.
Die Ursprünge der Nasenflöte (durch die Nase wird Luft hineingeblasen, mit dem Mund kann man Töne erzeugen. Sehr nervende Töne) werden in Malaysia und Südamerika vermutet, das Orchester benutzt aber nicht die Original-Instrumente aus Holz, sondern eine Billig-Variante aus Plastik, was beim traditionellen Instrumentezertrümmern nach Konzerten kostensparender ist.
Berlin-Hamburg
"Punkt eins ist Abfahrt!" hatten sich die Nasenflöten in den letzten Tagen immer wieder gegenseitig ermahnt, und nun, gegen halb drei, ist es tatsächlich so weit: In zwei Pkw macht sich die "älteste Boy-Group der Welt" (Spex) auf den Weg nach Hamburg. Um, am Ziel angekommen, erst mal auf der Reeperbahn herumzustehen. Das "Molotow" ist noch geschlossen.
MC Westbemme kennt jedoch ein griechisches Schnell-Restaurant um die Ecke. Dort gibt es ausschließlich Schultheiss-Bier, was zu heftigen Verdächtigungen beim alkoholisch-korrekten Teil der Band führt: "Das ist bestimmt der einzige Laden in ganz Hamburg, der diese Plörre führt. Gib zu, du hast heute morgen noch bei Schultheiss angerufen und dir eine Liste mit allen Schulli-Lokalen in Norddeutschland geben lassen!" schreit Hanns Martin Slayer (HMS), bevor er mit angeekeltem Gesichtsausdruck doch eine Flasche bestellt.
Mittlerweile sind auch Thomas Kapielski und Begleit-Gitarrist Halb eingetroffen. Beim Soundcheck im "Molotow" klappt zunächst nicht viel: "Ihr spielt falsch!" beschuldigt der eine Teil den anderen, der kontert: "Wir spielen nie falsch, das seid doch immer ihr!" Beim Auftritt läuft's dann besser. Spaß macht's jedoch nicht.
Dass eine Band, die sich selbst nicht unbedingt ernst nimmt, es in Hamburg schwer haben würde, war jedoch schon vorher klar. Und so stehen im "Molotow" nur wenige herum, denen das Programm aus verunstalteten Bombast-Rock-Klassikern wie Bohemian Rhapsody, zackigen Märschen und rotzigen Punk-Hymnen gefällt, der Rest nimmt demonstrativ übel, ohne konsequent den Raum zu wechseln. "Eigentlich müsste man einen internationalen Hamburg-Boykott machen. Wenn die dann mal ein Jahr lang mit ihren Sternen, Blumfelds und dem ganzen anderen furzöden Nabelbegucke-Pop allein waren, dann kann ja mal wer nachgucken gehen, ob sie genug haben. Wenn nicht, muss man halt noch ein Jahr dranhängen", beschließen die Flöten, bevor man sich ans individuelle Bedröhn-Programm macht. Die beiden Pilz-Esser der Gruppe werden unternehmungslustig und machen sich schließlich auf in irgendeine Disco, zum Tanzen, der Rest - bis auf Julius Nerdinger - schleppt sich und das Gepäck über die Reeperbahn. Zum Hotel "Stern". Das sei, so hat irgendwer vorher am Abend erzählt, ursprünglichvon einem Zuhälter als weltgrößtes Bordell geplant worden, dann jedoch Konkurs gegangen. Und nun ist der "Stern" fast ein richtiges Hotel. Ein Automatenhotel. Mitsamt der Zimmernummer hat man einen Zahlencode erhalten, den man am Eingang zweimal und vor der Zimmertür einmal eingeben muss (Kreditkartenbesitzer ohne Reservierung können einfach die Card in einen Extra-Schlitz schieben). Zimmer zwei hat ein Problem und kommt deswegen nach zehn Minuten geschlossen angetrampelt. "Klappt nicht, wir kommen nicht rein!" - "Habt ihr den richtigen Code?" - "Klar, sind wir doof?" Das nicht unbedingt, aber vielleicht ein bisschen sehr, sehr durch, und deswegen bricht die Besatzung von Zimmer eins seufzend auf. Vor Ort darf jeder noch einmal sein Unvermögen beweisen, bis HMS dran ist.
Voilá. Das betretene Schweigen dauert jedoch nicht lang, dann erinnert man sich an die beiden, die noch draußen sind und bei ihrer Rückkehr ganz bestimmt unglaubliche Schwierigkeiten mit der Zimmertür haben werden, und sofort bricht gute Laune aus. Bis man entdeckt, dass die Pilz-Köpfe die beiden Einzelbetten mit Koffern als ihr Revier markiert haben. Sie können aber, da sind sich MC Westbemme und Christian Steifen sehr sicher, genauso gut im Doppelbett schlafen: "Die merken ja eh nix." Also werden die Taschen umgelagert, sogar noch bevor der Fernseher eingeschaltet wird. Das Test-Zapping ergibt, dass kein Sender eingestellt ist, mit dem man irgendetwas anfangen könnte. tm3 schon gar nicht, also keine Chance, den Sensationssieg von Rosenborg Trondheim gegen Borussia Dortmund anzusehen.
Hamburg-Braunschweig
In der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Bergen-Belsen spaziert ein Bundeswehr-Trupp herum. Meistens im Pulk, und dann stehen die Männer, die teilweise Kfor-Abzeichen an den Uniformen tragen, vor den Schautafeln mit den Eroberungsplänen der Nazis. Nur wenige haben sich von der Menge abgesetzt, sie machen einander auf besonders eindrucksvolle Dokumente aufmerksam, z.B. auf das Foto vom Kommandeur des KZ. "Der sieht doch schon aus wie ein Schlächter", flüstert einer seinem Kollegen zu, und der nickt. Die Kumpels betrachten derweil immer noch den Russland-Feldzug und sagen sicherheitshalber dabei gar nichts. Draußen spricht dann ein Mitarbeiter der Gedenkstätte zu den Männern: "Das ist das erste Mal, dass die Bundeswehr einen ganzen Tag hier verbringt", sagt er, "deswegen würde ich gerne später zum Abschluss noch einmal über ihre Eindrücke mit ihnen sprechen." Eindrücke zu haben, scheint jedoch nicht unbedingt das zu sein, was man bei der Bundeswehr vordringlich lernt, deswegen schweigen zunächst alle. "Sie meinen, unsere Kritik an der Ausstellung?" fragt schließlich ein besonders Eifriger. Kritik? Bei der Bundeswehr?? Der Mitarbeiter stutzt. "Nein, nein, ich dachte, wir sprechen noch einmal darüber, was Sie hier gefühlt haben." Das macht die Soldaten nun vollends sprachlos. Auf der Landstraße geht es weiter Richtung Braunschweig. Wohin genau, ist leider nicht so ganz klar, denn plötzlich ist die Wegbeschreibung verschwunden, aber was soll's, "asking is for pussies".
Schließlich ist die Kunstakademie gefunden. Und viele Künschtler. Die Flöten werden bockig. Immerhin kann frau den Tour-internen Macho-Wettbewerb klar für sich entscheiden. Das "Schon mal Rückenschmerzen vom Bumsen gehabt?" respektive "Ne wehe Hand vom Wichsen" kann klar gekontert werden: "Ist alles nix gegen taube Lippen vom Blasen" - die hatte nämlich noch keiner von denen, höchstens taube Nasen. Die Aula der Kunsthochschule ist randvoll mit gespannten Erstsemestern und bedenklich dreinblickenden Professoren. Nach den offiziellen Semesterbeginn-Reden ist der Grindchor endlich dran. Alles klappt, das Publikum ist begeistert, bei "My Way" fliegen Mikroständer und Nasenflöten durcheinander über die Bühne, bis der final curtain sich tatsächlich senkt, und nach der Zugabe sind alle glücklich. Und hungrig. Bei "Tandure", dem anatolischen Restaurant gleich nebenan, ist man anscheinend allerhand gewohnt, deswegen fällt das Pfeifen-Ensemble dort nicht weiter unangenehm auf. Auch nicht dessen laut vorgetragene Lieblingslieder, "Roter Wedding" und "Schmiert die Guillotine". Alle warten nun eigentlich nur noch auf das Essen, da ruft eine Frau plötzlich: "Oh, da sind sie ja, die schönen Männer!" und springt auf den Tisch, an dem die Nasenflöten sitzen. Mara sei ihr Name, erklärt sie, "meine Eltern haben mich nach dem Schwarzen Meer getauft." Während die Flöten ihre Biergläser in Sicherheit bringen, windet sich Mara, Professorin für Film an der Universität Braunschweig, ungeachtet brennender Kerzen, einmal der Länge nach sehr ekstatisch über den Tisch und zurück, wirft sich dabei hin und wieder nach rechts oder links auf die Schöße der Drumherumsitzenden und bleibt schließlich in der Mitte liegen. Einfach so. Die Flöten unterhalten sich daher notgedrungen über sie hinweg, bis jemandem auffällt, dass auf dem Tisch entweder die Frau oder das bestellte Essen Platz hat. Erste zarte Hinweise auf das favorisierte Tafeldekor ("Kannst du dich nicht auf deinen Tisch legen?") bleiben jedoch ebenso unerhört wie das handfestere "Unser Essen kommt erst, wenn du hier weggehst" und Appelle an die Vernunft: "Hoffentlich schämst du dich morgen nicht!" Irgendwann aber rollt Mara sich weg, und es gibt tatsächlich Essen. Und in Braunschweig nichts weiter zu tun, deswegen nimmt man - bis auf Nerdinger - Taxis zum "Frühlings"-Hotel. Wo es eigentlich auch nichts zu tun gibt. "Das ist ja hier wie bei den Mandrax-Brothers", stellt Westbemme plötzlich fest, während alle im Zimmer Versammelten vor sich hin dösen, und zappt durch die Programme. Wahrscheinlich gibt es irgendeine Vorschrift, nach der in Hotelfernsehern nur die allernutzlosesten Sender fest und unveränderbar eingestellt werden dürfen. Auch hier ist die Auswahl beschränkt, kein tm3, es bleibt nur Holzhacken auf DSF.
Braunschweig-Hannover
"Silke Arp bricht" heißt der Club, in dem heute aufgetreten wird. Benannt ist er nach einer Frau namens Silke Arbrecht, die jahrelang über der Location wohnte und ständig ihre Untermieter terrorisierte, bis sie schließlich entnervt wegzog. Blöderweise ist man viel zu früh da, deswegen muss gewartet werden. Zeit für ein bisschen Mobbing. Denn Snotty hat mit dem Rauchen aufgehört. Sagt er. Dabei geholfen habe ihm das Buch "Endlich Nichtraucher" von Allan Carr, nun sei er schon seit einer Woche nikotinfrei. Bloß kiffen würde er noch hin und wieder, erklärt er, und wundert sich, dass die anderen laut loslachen. Sechs Joints, rechnet Westbemme ihm unbarmherzig vor, habe er allein auf der Fahrt von Hamburg nach Braunschweig gebaut, so ein richtiger Erfolg sei sein selbstgebasteltes Entwöhnungsprogramm also wohl vielleicht doch nicht. Snotty bleibt stur, aber was er "Nicht mehr rauchen" nennt, wird die Band fortan als "Kettenkiffen" bezeichnen. Und so muss er sich auch nicht wundern, als er den zum Kulturprogramm aufbrechenden Rest um eine Zigarette ("Nein, ich will sie nicht rauchen") bittet und der wieder viele Scherze produziert. Das Kulturprogramm, so ist entschieden worden, wird im Gegensatz zu allen anderen Dingen des individuellen Bedarfs aus der Tourkasse als Bildungsmaßnahme bezahlt. Vor die Alternative gestellt, Snotty beim Nichtrauchen zuzusehen oder ins Museum zu gehen entscheiden sich alle -außer Nerdinger- den Nachbau von Kurt Schwitters Merzbau zu inspizieren. Diesmal bleibt wenig Zeit zum Rumhängen, ein freier Radiosender will das Konzert am Abend eine Stunde lang live übertragen. Diejenigen, von denen der größte Unsinn während eines Interviews zu erwarten ist, werden kurz gebrieft ("Wehe, du erzählst wieder die blöde Geschichte"), dann geht es los. Und richtig gut. Das Publikum singt mit, man tanzt, die Mini-LP der Band, "Kuschelrotz", wird gekauft, niemand erzählt die blöde Geschichte, und nach den Zugaben entwickelt sich eine dieser seltenen Spontan-Partys, bei denen alles stimmt. Sehr viel später gibt es noch eine Zugabe, der Grindchor flötet "Danke". Noch viel später: Kapielski steht randvoll mit einer leeren Bierdose auf dem Kopf auf der Bühne und gröhlt mit dem Publikum den "Teletubbies"-Song. In der Wohnung ereignet sich dann der erste Skandal der Tour. Nerdinger, der zuvor noch erklärt hat, wie üblich woanders schlafen zu wollen, liegt plötzlich auf der Matratze von Jean. Acht Menschen und sieben Matratzen sind ein Mensch zu viel, Nerdinger wird weggeschickt, und in der Küche wird der Skandal dann noch ein bisschen diskutiert. Steifen, völlig beyond und eigentlich schon vor einer halben Stunde am Esstisch eingeschlafen, wird plötzlich wach und sagt: "Wenn ihr nicht wollt, dass ich bei euch schlafe, dann springe ich eben aus dem Fenster." Vor dem Einschlafen wird noch ein wenig gepfiffen.
Hannover-Wilhelmshaven
Sehr unausgeschlafen - um neun klingelt der Wecker des Wohnungsinhabers, der jedoch ungerührt weiterschläft, bis um halb zehn endlich jemand eingreift - macht man sich auf den Weg nach Wilhelmshaven. Kneipen wie das "Klingklang" kennt jeder, der nicht in einer ausgesprochenen Großstadt aufgewachsen ist. Mit solchen Läden kann man alt werden, und wenn man nicht sehr aufpasst, dann sitzt man noch mit 50 dort, weil man den Absprung verpasst hat. Bedruckte Spiegel, bunte Plakate, Holz-Interieur, großflächig bemalte Klotüren - beim Anblick schütteln sich alle. Die Nasenflöten fraternisieren zunächst lediglich mit den sozial gestrandeten älteren Männern, die im ersten Stock neben dem für Bands vorgesehenen Raum mit dem Stern an der Tür wohnen. Sie tauschen bereitwillig eine Rolle Klopapier gegen Plätze auf der Gästeliste. Die andere Band, Ostfrieslands Grunge-Hoffnung, besteht aus fünf Abiturienten, die stundenlang Equipment auf der Bühne verteilen und sich große Mühe geben, die Wichtigkeit ihres Anliegens zu überspielen. "Habt ihr euch schon mal Gedanken über die Reihenfolge gemacht?" fragen sie beiläufig jeden, der ihrer Ansicht nach zu den Nasenflöten gehören muss, weil sie ihn noch niemals im "Klingklang" gesehen haben. Für Rockbands ist die Reihenfolge beinahe noch wichtiger als ein guter Monitormix, denn sie entscheidet über Erst- und Zweitklassigkeit. Wer zuerst spielt, ist die Vorgruppe und nicht so wichtig, was folgt, wurde früher Headliner genannt und hat noch heute neben dem Vorrecht auf Rumzicken auch den nicht zu unterschätzenden Vorteil, ohne nervende Nachfolger das Programm auszudehnen. Die Abiturienten werden immer nervöser, denn jede angesprochene Nasenflöte beantwortet die unglaublich wichtige Reihenfolgen-Frage mit einem lapidaren "Nö". In der musikalischen Provinz kann das entweder "Nö" bedeuten oder ein typisches Zeichen großstädtischer Arroganz sein, deswegen wird die Frage immer dringlicher. Der Grindchor hat aber bloß den Kicker entdeckt, spielt die Bandmeisterschaft aus und entscheidet anzufangen. Ostfriesland staunt, lacht, hat Spaß, und kickert später mit den Flöten. Die wieder einmal kein Ende finden: Noch im Bett wird gepfiffen.
Wilhelmshaven-Berlin
Auf dem Kultur-Programm steht nach einem kurzen Strandspaziergang heute ein Wal-Penis. Der wird, plastiniert und mitsamt anderen Organen eines vor Baltrum gestrandeten Tiers, im Wilhelmshavener Wal-Museum ausgestellt und ist riesengroß, etwa zweieinhalb Meter. Und beeindruckend, allerdings nicht für lange Zeit. Alle wollen nach Hause. Unterwegs muss jedoch gegessen werden. Der "real"-Supermarkt in Stuhr entpuppt sich allerdings als Service-Wüste. Sechs Brötchen zu kaufen, ist dort unmöglich. "Entweder im Fünfer- oder im Zehner-Pack", sagt die Verkäuferin, ohne Verständnis dafür, dass eine nicht durch vier teilbare Anzahl von Brötchen zum Band-Split führen könnte. Schließlich gibt sie auf und eins gratis dazu. Und dann ist man endlich zu Hause. Niemand pupst, keiner schnarcht. Und trotzdem fällt das Einschlafen schwer. Denn von nirgendwoher pfeift es.

Aus: Jungle World, 10.10.99

Tuesday, March 9, 2010

Oberkreuzberger in Unterkreuzberg

Das Nasenflöten-Orchester spielt mal wieder live:
10.03., 21 Uhr
Yorckschlösschen
Yorckstrasse 15, Berlin-Unterkreuzberg

Tuesday, January 12, 2010

Auf spoon



Spoon ist tot. Am Dienstag, 12. Januar, wird er ab 20 Uhr im Mysliwska, Schlesische Straße 15, verabschiedet.

Fotos: Frank Frey

Friday, January 8, 2010

Nachruf auf eine (temporäre) Nasenflöte

Spoon (3. v. links), irgendwann Anfang der Neunziger Mitglied des Nasenflöten-Orchester, ist in der Nacht zum Freitag gestorben.
Manche wird das nicht überraschen, traurig ist es trotzdem.
CU, spoon...

Sunday, January 3, 2010

Gefühlte Leistungsträger

Es gibt sie, diese Tage, an denen man sich selbst mit Fug und Recht zu den Leistungsträgern des Landes zählen kann. Weil man nämlich nicht im Bett geblieben ist, obwohl es draußen kalt und grau ist, obwohl der Anrufbeantworter äußerst alarmierend rot blinkt und dazu noch in einem enervierend aggressiven Takt, was nur den Schluss zulässt: Da hat jemand eine Botschaft hinterlassen, die nicht von Liebe, Geld oder »heute Abend um acht in der Bar 11« handelt, sondern von fiesen Sachen wie verpassten Deadlines oder bevorstehenden doofen Terminen.

Hat man sich dann aus dem kuschelig-warmen Bett gequält und noch vor dem ersten Kaffee und der ersten Zigarette dieses zweifelsfrei besonders miesen Tages den Anrufbeantworter abgehört, dann ist es plötzlich da, dieses Leistungsträgergefühl. Natürlich nicht im Sinne der triumphalen Erkenntnis, dass man zu denjenigen gehört, die die Geschicke der Republik bestimmen oder wenigstens in irgendeine Richtung lenken, sondern mehr so im Sinne von Mitleid. Denn in diesen wenigen Momenten, bevor man sich daran macht, das zu tun, was eben getan werden muss – oder was gestern hätte getan werden müssen –, da weiß man plötzlich, wie sich so ein Leistungsträger jeden Morgen fühlen muss, außer unausgeschlafen. Zu dem Horror, bloß nichts Wichtiges zu vergessen, mag zwar noch das Gefühl kommen, dass man extrem Relevantes tut und entsprechend auch selber ganz enorm wichtig ist, aber, machen wir uns nichts vor, so sehr hilft das vermutlich auch nicht, wenn man noch vor Sonnenaufgang in dieses kalte, graue Draußen muss.

Natürlich gibt es das Leistungsträgergefühl auch mit Ausschlafgarantie. Oder jedenfalls mit der Möglichkeit, meistens im Bett zu bleiben, wenn man das möchte. Man bringt zwar das Land weder wirtschaftlich noch sonst irgendwie voran, aber dafür geht man anderen Leuten nicht auf die Nerven. Man trägt nicht zur morgendlichen Staubildung bei, verstopft auch abends weder Straßen noch öffentliche Verkehrsmittel, muss nicht ins Krankenhaus eingeliefert werden, weil es beim Business Lunch irgendwas mit Salmonellen gegeben hat, beschert dem fürs Konto zuständigen Banker ein aufregendes Berufsleben (wird am Ende des nächstens Monats mal ein Plus übrigbleiben?), sorgt für gute Einschaltquoten bei den Frühnachmittagssendungen im Fernsehen und kümmert sich im Großen und Ganzen um seinen eigenen Kram.

Der musikalische Arm der gefühlten Leistungsträger heißt »Das Oberkreuzberger Nasenflöten-Orchester« und besteht aus rund zehn prekären Existenzen, die hin und wieder vorzeitig aufstehen, zum Beispiel dann, wenn es gilt, sich auf Konzerte vorzubereiten oder mit der Bahn zu Auftritten außerhalb Berlins zu fahren.

Seit die berühmt-berüchtigte Neuköllner Kneipe »Zum blauen Affen«, lange Zeit Homebase der Band, dichtgemacht hat – das Lokal wird ganz sicher demnächst eine todschicke Galerie –, sind die Flöten kurzfristig heimatlos. Derzeit sucht man einen neuen blauen Affen und ist zunächst im tieferen Neukölln fündig geworden. Der Auftritt im »Heinzelmann« wurde zum Erfolg, obwohl ein Nachbar, zweifellos ein echter Leistungsträger, sich bereits gegen 21 Uhr über die unerträgliche Ruhestörung beschwerte. Gegen die logistisch ausgeklügelte Zusammenarbeit von Band und Kneipengästen hatte der Querulant allerdings keine Chance: Immer, wenn die Polizei anrollte, gaben die Späher an den Fensterplätzen Zeichen, woraufhin die Nasenflöten den Gig abbrachen und in fröhliches Herumstehen verfielen. Kaum waren die Ordnungshüter wieder weg, wurde weiter die Ruhe gestört. Und während eine zweifellos sehr unausgeschlafene Neuköllner Stütze der Gesellschaft am nächsten Morgen ihr Tagewerk begann, lagen die, die am Abend zuvor viel Spaß hatten, noch äußerst vergnügt in ihren Betten.